Interview

Den «Spagat» schaffen

Direktor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Hans Wyss und Andrea Leute, Vizedirektorin des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), im Interview über die Herausforderungen der Identitas AG.

Herr Wyss, Sie haben die maximale Amtszeit im Verwaltungsrat der Identitas AG bis 2020 voll ausgeschöpft. Wie haben Sie die Identitas AG in diesen Jahren erlebt?

Hans Wyss: Es war für die Identitas AG immer eine Herausforderung, die relativ strengen Vorlagen, die der Bund vorgibt, zu erfüllen und sich dennoch am Markt
als dynamisches Unternehmen zu beweisen. Das sorgte schon zu meinen Zeiten jeweils für Diskussionen.
Andrea Leute: Das ist auch heute noch so. Doch die strengen Auflagen seitens Bund sind nötig. Seriosität und Glaubwürdigkeit gegenüber der Kundschaft und den Nutzern der Applikationen sind uns enorm wichtig.

Und das ist gerade für den Datenschutz sehr wichtig.

Hans Wyss: Genau. Es sind vor allem die Daten der Tier­halter, die sensibel sind. Aber die Daten sind sehr sicher. Der Bund ist sehr sensibel, was deren Schutz betrifft. Als Tierhalter braucht man keine Angst zu haben, dass mit diesen Daten etwas angestellt wird, das man nicht will.
Andrea Leute: Und das ist gut so. Wann immer mit Daten gearbeitet wird, ist deren Schutz ein zentrales Thema.

Dennoch ist es nicht immer einfach, das Vertrauen der Kundschaft und der Partner zu gewinnen …

Hans Wyss: Es ist immer ein wenig ambivalent, wenn ein Unternehmen etwas im Auftrag des Staats vollzieht. Vertrauen lässt sich so nicht leicht gewinnen. Dennoch glaube ich, dass das Vertrauen in die Identitas AG ge­wachsen ist. Und damit ebenfalls die Datenqualität. Je besser diese ist, desto grösser ist ihr Nutzen – auch für den einzelnen Tierhalter. Das ist am Schluss das A und O: Dass jene, die die Daten liefern, merken, dass diese wirklich etwas bringen.
Andrea Leute: Ich denke, das Vertrauen in die Identitas AG hat auch ein bisschen mit dem Alter und der Überwindung zur Digitalisierung zu tun. Die jungen Tierhalter haben kaum Bedenken, ihre Daten elektronisch zu übermitteln. Für ältere Generationen ist es dagegen eher ein Zusatzaufwand, sich abends noch vor den Computer zu setzen und Daten einzugeben.
Hans Wyss: Ich weiss aus Erfahrung, dass die Leute dem alten System lange nachgetrauert haben. Heute ist das nicht mehr der Fall. Es ist ja offensichtlich, dass die Tierverkehrsdatenbank (TVD) eine hohe Qualität und Aktualität aufweist und präzise sowie zuverlässig funktioniert.
Andrea Leute: Das kann ich bestätigen – kurz nach meiner Wahl in den Verwaltungsrat war ich einen Tag vor Ort. Die Identitas AG erbringt sehr seriöse und professionelle Dienstleistungen, das schafft Vertrauen.

Dieser Besuch liegt nun etwa ein Jahr zurück. Welchen Herausforderungen stellen Sie sich als neues Mitglied im Verwaltungsrat?

Andrea Leute: Ich bin als Verwaltungsrätin in einem Gremium mit Tierärzten, die über fachspezifisches Wissen verfügen. Ich konzentriere ich mich vor allem auf die Finanzen und personelle Themen. Meine persönliche Heraus­forderung wird sein, dass wir jetzt und in den nächsten Jahren auf die Zahlen ein gutes Augenmerk legen.

Wurde darauf schon früher Wert gelegt, Herr Wyss?

Hans Wyss: Das ist immer ein Thema. Ich hoffe einfach, dass der Bund der Identitas AG das Korsett nicht zu eng schnürt. Es ist ganz wichtig, dass nicht zu viel Profit gemacht wird, aber die Dynamik muss bestehen bleiben. Und wir dürfen etwas nicht vergessen: Kein Land in Europa hat einen so grossen Nutztierverkehr wie wir. Das bringt immer ein grosses Risiko mit sich. Zwar haben wir einen extrem guten Tierseuchenstatus, doch das kann sich plötzlich ändern – wie etwa aktuell im Gesundheitssektor mit Corona. Dann werden wir daran gemessen, wie gut das System funktioniert. Und ob wir einen Schritt voraus sind.

Was ist dazu nötig? Und ist das überhaupt möglich?

Andrea Leute: Ja, ich glaube dran. Wir sind gut aufgestellt, auch im Vergleich zum Ausland. Doch trotz allen Krisenübungen und Notfallszenarien des Bundes ist klar: Auf die Realität ist man in den wenigsten Fällen zu hundert Prozent vorbereitet. Dennoch helfen diese, entsprechende Zahlen zu planen, vorbereitet zu sein und dann flexibel agieren zu können.

Herr Wyss, Sie sind seit 2020 nicht mehr im Verwaltungsrat. Was wünschen Sie der Identitas AG für die Zukunft?

Hans Wyss: Dass sie den Spagat schafft und trotz des relativ engen Korsetts die Innovationskraft beibehalten kann. Das ist etwas,
das ich den Kontrollstellen immer wieder zu vermitteln versuchte. Eine Firma muss in die Forschung, also bei der Identitas AG in die Innovationskraft, investieren. Das lässt sich nicht immer schön auf alle Kostenstellen verteilen.

… und welchen Tipp geben Sie den neuen Verwaltungsratsmitgliedern mit auf den Weg?

Hans Wyss: Eigentlich brauchen sie keine Tipps von mir, ausser vielleicht, dass sie sich nicht immer von Kontrollen leiten lassen dürfen. Manchmal braucht es einfach mutige Schritte, um etwas zu tun. Das ist auch für die Zukunft wichtig.